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Bewusst eingesetzte Aggression

Betrachtet man Diskussionen auf Managementkongressen, Fachvorträge auf HR-Messen oder Posts auf Businessplattformen, so entsteht zuweilen der Eindruck, als ginge es bei der Führungskräfteentwicklung in erster Linie darum, eine Schar von sanften Lämmern heranzuzüchten, die sich vor allem um das körperliche und psychische Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden sorgen. Harmonie, Gemeinschaft und Selbstverwirklichung sind stets gern gehörte Begriffe, die nicht mehr hinterfragt werden und überall hoch im Kurs sind. Man arbeitet daran, dass Motivation, Spass und Konsens durch win-win-Lösungen in Einklang gebracht werden und übersieht dabei leicht, dass die Welt leider nur sehr selten genau so ist, wie wir sie uns vielleicht wünschen. Diese Aspekte beleuchten wir ebenfalls im Rahmen unserer Assessment in Bern und Zürich.

All unseren Bemühungen zum Trotz finden wir in Unternehmen nämlich nicht ausschliesslich nur „gute Gefühle“ vor. Organisationen sind immer auch Orte, in denen „schlechte Gefühle“ wie Neid, Konkurrenz, Unmut und Wut auftauchen. Solche „emotionalen Gewitter“ können schon mal für etwas Schrecken sorgen und uns in unserer friedvollen Harmonie stören. Doch ist dies wirklich so schlimm? Wenn wir dies als Mangel und Defizit erleben, dann vielleicht deshalb, weil wir das Vorhandensein von negativen Emotionen als Misserfolg werten – als Misserfolg beim Versuch, unser Selbstverwirklichungsprojekt mit den richtigen Methoden umzusetzen. Dabei verkennen wir jedoch, dass auch Aggressivität seinen festen Platz im Management haben sollte. Sie ist nicht wegzudenken und auch nicht wegzuwünschen. Denn sie muss sich nicht zwangsläufig als negative und zerstörerische Kraft zeigen, sondern kann sich auch als aufbauende und vorantreibende Energie erweisen. Dann ist Aggressivität sogar unbedingte Voraussetzung für Leistung und Erfolg. Dieser Gedankengang wird noch deutlicher, wenn wir uns der Frage zuwenden, was Aggressivität eigentlich genau ist und wie sie wirkt. Zunächst ist Aggressivität einmal die Bereitschaft zu angriffslustigem Verhalten – erlebbar auf gedanklicher und sprachlicher Ebene sowie auch im Verhalten. Die Aggressionsforschung hat Aggressivität darüber hinaus aus zwei Perspektiven untersucht:

Eine erste, eher verhaltensorientierte, Betrachtungsweise sieht Aggressivität im Zusammenhang mit aggressionsauslösenden Reizen. Aggression ist hier reaktiv und defensiv. Ihr Hauptziel liegt darin, die Ursache einer Bedrohung zu beseitigen. Der aggressive Mensch kämpft oder flieht, wobei das eigentliche Ziel der Aggression nicht in der Zerstörung liegt, sondern vielmehr im Erhalt des (eigenen) Lebens. Sobald das Ziel erreicht ist, verschwindet die Aggression wieder.

In einer zweiten, eher tiefenpsychologischen, Perspektive können wir uns Aggressivität schliesslich als eine Art inneres Programm vorstellen. Aggression bedeutet hier Antriebsenergie und ihr Gegensatz besteht in psychologischer Hinsicht nicht etwa in der Friedfertigkeit, sondern vielmehr in der Ruhe und Entspannung. Das bedeutet: Ohne Aggression wären wir passiv und täten gar nichts. Aber wer rastet der rostet! Erst durch die Aggressivität überschreiten wir die Grenze vom „Ich“ zum „Tun“. Sie bildet die Grundlage jeglicher Initiative und Veränderung.

In diesem Zusammenhang erhält der Begriff der Motivation einen neuen und wichtigen Aspekt. Wir können nämlich nur motiviert sein, wenn wir innerlich wissen, was wir wollen. Dieses Wissen ist allerdings nur auf der emotionalen Ebene erfahrbar. Das heisst, wir können nur spüren was wir wollen. Und dieses Gefühl gibt uns schliesslich die Kraft, uns dafür auch entsprechend einzusetzen. Ein Ziel, das uns kalt lässt, werden wir nicht mit der gleichen Leidenschaft und mit dem gleichen Engagement verfolgen wie ein Ziel, das uns wirklich wichtig ist und uns innerlich berührt. Genau hier kommt die Aggressivität wieder ins Spiel. Wenn uns etwas kalt lässt, dann haben wir mit Menschen anderer Auffassung höchstens eine Meinungsverschiedenheit. Wir können die Argumente austauschen, wobei uns die Gegenmeinung nicht wirklich unter die Haut geht. Wenn uns ein Ziel jedoch etwas bedeutet, dann wird die Meinungsverschiedenheit schnell einmal zu einem Konflikt. Sie lädt sich emotional auf, und je grösser diese emotionale Aufladung, desto grösser das Konfliktpotenzial. Wir verteidigen unser Ziel – wir verteidigen, wofür wir einstehen.

In diesem Sinne liegt ein fester Bestandteil unseres Lebens auch darin, immer wieder eine Art Verwirklichungskampf für unsere Ziele zu führen. Wenn sich die Menschen nie in diesen Kampf begeben würden, wäre auf dieser Welt wohl noch nie etwas Bedeutendes geschaffen worden. Dies gilt in besonderem Mass auch für Führungskräfte. Sie befinden sich in einem ständigen Verwirklichungskampf für ihre Ziele. Wenn die Ziele eines Managers nicht intrinsisch motiviert und echt sind, wenn ihn seine Ziele also nicht innerlich berühren, wird sein Kampf vermutlich nicht kraftvoll genug und nicht nachhaltig sein. Sind seine Ziele jedoch ausreichend emotional aufgeladen, dann werden Initiative, Durchsetzungskraft, Aktivität und innere Spannung gross genug sein, um auch grosse Schwierigkeiten überwinden zu können – unter Umständen auch mit einiger Aggression. Dies hat in den meisten Fällen jedoch nicht direkt mit Feindseligkeit zu tun, sondern vielmehr mit dem Willen, seine Ziele, seine Selbstachtung und seine Motivation zu verteidigen. Erfolgreiche Manager sind dazu in der Lage, ihre emotionale Energie gezielt und strukturiert einzusetzen. Wenn sie darüber hinaus auch noch mit der nötigen Fairness und Empathie vorgehen, dann handeln sie aus meiner Sicht emotional intelligent. Empathie allein bringt Führungskräfte jedoch nicht voran. Es braucht auch eine gesunde Portion an Aggressivität.

Bob Schneider
27.11.2017Bob Schneider
Tags: Aggression als Energie