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Compassion

Es ist in der Tat nicht neu, dass die organisationspsychologische Fachwelt von Führungskräften ganz generell mehr Empathie verlangt. Und diese Forderung hat zweifellos auch heute noch eine gewisse Berechtigung, wenn man sich im Berufsalltag der aktuellen Unternehmenswelt etwas genauer umsieht. Doch die pauschale Forderung nach mehr Empathie greift meistens zu kurz. Denn was ist damit eigentlich genau gemeint und wie hilfreich ist dieser Imperativ für einen Manager, der in einer Krisensituation einen harten Entscheid zu fällen hat, bei dem zu erwarten ist, dass viele der davon betroffenen Menschen darunter leiden werden? Ist der betreffende Manager nun einfach ein schlechter Mensch mit zu wenig Empathie und sollte er einfach keine solche Entscheidung fällen?

Hier lohnt es sich, den Begriff der Empathie etwas genauer anzuschauen und eine gewisse Differenzierung vorzunehmen (wie wir es auch in unseren Assessment in Zürich und Bern machen), die es uns schliesslich erlauben wird, dem betreffenden Manager eine bessere Antwort – und vielleicht gar eine nachhaltige Hilfestellung anbieten zu können:

Empathie bedeutet vom Wortursprung her „Mit-leiden“ und verweist dabei gleichzeitig auf die emotionale Ansteckungsfähigkeit. Beobachte ich jemanden, der traurig ist, dann spüre ich als empathischer Mensch diese Trauer am eigenen Leib. Wenn ich nun zum Beispiel einem Bettler begegne, der Trauer ausstrahlt, dann habe ich zwei Möglichkeiten: Ich kann entweder genau das tun, was der Bettler von mir erwartet (ihm nämlich Geld geben). Dabei hoffe ich, mich dadurch von dem für mich unangenehmen Gefühl der Trauer befreien zu können. Oder aber ich konzentriere mich von Beginn weg – also sobald ich den Bettler sehe – darauf, mich innerlich von meiner eigenen Empathie zu distanzieren, um damit dieses Gefühl der Trauer in mir gar nicht erst wahrnehmen zu müssen. Übertragen auf den Führungsalltag erscheinen jedoch beide Möglichkeiten nicht wirklich befriedigend. Als Führungskraft will ich ja weder zum Spielball meiner Mitarbeitenden werden noch als völlig unempathischer Chef gelten. Gefragt ist vielmehr ein Sowohl-als-auch: Ich zeige Anteilnahme und fühle mit, bleibe aber gleichwohl ganz bewusst bei mir selbst. Anders formuliert: Dass ich den andern verstehe, heisst noch lange nicht, dass ich ihm alles recht machen muss.

Diese geforderte Balance zwischen Selbst- und Fremdperspektive, zwischen Eigen- und Fremdinteresse, entspricht der grossen Kunst, (Mit-) Gefühl zuzulassen und dennoch Grenzen setzen zu können. Es scheint sich dabei um verschiedene Persönlichkeitsanteile zu handeln, die letztlich miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Dass uns dies in der Regel eher schwer fällt, lässt sich auch mit einem Seitenblick auf den aktuellen Stand der heutigen Hirnforschung erklären. Denn wenn wir uns mit voller Konzentration auf die Erreichung eines persönlichen Ziels konzentrieren, werden grundsätzlich andere Neuronen-Netzwerke aktiviert als wenn wir unsere zwischenmenschlichen Beziehungen überprüfen. Und genau hier könnte eines der Geheimnisse von erfolgreichen Führungskräften liegen. So hat Daniel Goleman in seinem neuen Buch (Konzentriert euch! Eine Anleitung zum modernen Leben, Piper, München, 2014) renommierte Hirnforscher wie folgt zitiert: „Die erfolgreichsten Führungskräfte können innerhalb von Sekunden zwischen beidem hin- und herwechseln.“

Ein etwas anderer Gedankengang geht von der Unterscheidung zwischen affektiver und kognitiver Empathie aus. Wenn wir wissen, dass der andere leidet, und wenn wir dies dann abstrakt als schlimm einschätzen, dann handelt es sich um die kognitive Empathie. Als affektive Empathie wird dagegen die wirklich emotionale Resonanz bezeichnet, bei der jene neuronalen Netzwerke aktiviert werden, die auch den eigenen Gefühlen zugrunde liegen. Letztlich entsteht erst daraus die Motivation, dem andern zu helfen oder ihm nicht wehtun zu wollen. Ein positiver Handlungseffekt – die effektive Hilfsbereitschaft – entsteht somit erst durch die affektive Empathie. Und genau hier besteht wiederum die Gefahr, dass wir letztlich von zu starken Gefühlen überwältigt werden und negativen Stress empfinden, wenn wir zu sehr mitschwingen. Eine mögliche Folge davon kann vom Rückzug bis zum Burn-out führen.

Was also können wir tun, um dieses Dilemma mit der affektiven Empathie zu überwinden? Tania Singer, Professorin und Emotionsforscherin am Leipziger Max-Planck-Institut, hat dazu mit ihren Forschungsergebnissen einen äusserst wichtigen Beitrag geleistet: Sie hat neben der kognitiven und der affektiven Empathie eine dritte Form der Anteilnahme ausgemacht, die sie Mitgefühl oder Compassion nennt. Bei dieser wird das Mitfühlen bewahrt, der dadurch entstehende Stress jedoch ausbalanciert und in positive Fürsorge umgewandelt. Dies ermöglicht es, anderen Menschen zugewandt zu bleiben und dennoch nicht unter ihren starken Gefühlen zu leiden. Man kann das, was man fühlt, besser in einen Gesamtkontext einordnen – und somit angemessen handeln. Tania Singer weist zudem darauf hin, dass die Schulung dieser Art von Mitgefühl besonders gut mit Meditation gelingt. Denn beim regelmässigen Meditieren lernen wir, eigene Gefühle zunächst wertfrei zu betrachten, was zu einem etwas gelasseneren Umgang mit den oftmals auch unangenehmen Emotionen führt. Dadurch können wir im Alltag viel genauer erfassen, was auf der (zwischen-)menschlichen Ebene wirklich passiert – statt vorschnell mit Abschottung oder Übereifer beim Erfüllen der Bedürfnisse anderer zu reagieren. Durch das Meditieren lernen wir, eine gewisse Distanz zu unseren Emotionen zu erhalten. Weil wir nicht mehr vollumfassend mit unseren Emotionen identifiziert sind, können wir die eigenen negativen Emotionen überwinden, ohne unsere Empathie zu verlieren.

Meditieren können alle, es erfordert jedoch einige Disziplin, viel Geduld und nicht zuletzt auch ein wenig Humor. Der Aufwand könnte sich jedoch lohnen, denn das Ziel der Meditation ist wohl für die meisten von uns erstrebenswert: Es geht letztlich darum, anderen Menschen, aber auch sich selbst mehr Mitgefühl bzw. Selbstmitgefühl entgegenzubringen.

Compassion als neue Art von Empathie erscheint vor allem auch für das Management eine äusserst spannende Option darzustellen – in einem Umfeld, in dem man sich echtes Mitgefühl vermeintlich ja nicht mehr leisten kann.

Bob Schneider
09.10.2017Bob Schneider
Tags: Compassion