Follower werden

Vertrauen dank Ehrlichkeit und emotionaler Authentizität

Als ich mir neulich einen Dokumentarfilm zum Jahrestag der Erstürmung des Capitols in den USA ansah und mir dabei die Scharen von Trump-Anhängern zu Gemüte führte, da habe ich mir einmal mehr die Frage gestellt, wie so etwas überhaupt möglich sein konnte. Und wie es möglich war, dass nahezu die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung einer solchen Person ihre Stimme gegeben hat. Eine erfahrene amerikanische Politologin gab in diesem Film folgende Antwort, als sie danach gefragt wurde, wie sie die Wahlchancen von Donald Trump einschätze, falls er sich 2024 wieder zur Wahl stellen würde: „Er hat sehr gute Chancen – vor allem deshalb, weil die Demokraten „das Phänomen Trump“ noch gar nicht verstanden haben und dem auch nichts entgegenstellen können.“ Irgendwie spürte ich sofort, dass sie mit dieser Einschätzung wohl richtig liegt, auch wenn ich erst nicht genau sagen konnte, weshalb.


Einige Tage später schaute ich mir im ZDF eine Folge der spätabendlichen Diskussionssendung mit Markus Lanz an, in welcher es – einmal mehr – um Covid ging. Das Spannende daran war, dass ein anwesender Politiker in durchaus selbstkritischer Absicht die Frage in die Runde warf, warum sich wohl bis heute ca. 30% der Bevölkerung weigern, sich impfen zu lassen, obwohl es für diese Impfung, objektiv betrachtet, sehr gute Gründe geben würde. Er stellte natürlich nicht nur die Frage, sondern gab in Form einer These auch bereits eine erste Antwort dazu, indem er diese Tatsache auf eine sehr grundlegende und tiefgreifende Vertrauenskrise in der Bevölkerung gegenüber den politischen Entscheidungsträgern zurückführte.


Gemeinsam ist diesen beiden Begebenheiten das Thema des fehlenden Vertrauens sowie die schmerzliche Erfahrung, dass sich zerstörtes Vertrauen in der Regel mit guten Argumenten allein nicht wiederherstellen lässt. Wenn man nämlich einem überzeugten Trump-Anhänger erklären will, dass er als Trump-Wähler objektiv gegen seine eigenen Interessen handelt, dann wird er vermutlich verärgert reagieren und allenfalls entgegnen, dass solche Ideen vom demokratischen Establishment in die Welt gesetzt würden, um ihn vom richtigen Weg abzubringen. Trump sei eben ein echter Kerl, dem man noch vertrauen könne. Wenn man einem überzeugten Impfgegner die wissenschaftlichen Argumente näherzubringen versucht, die auf die vielen Vorteile der Impfung hinweisen, dann wird er wahrscheinlich ausführen, warum er diesen „sogenannt wissenschaftlichen“ Aussagen nicht traut und weshalb er sich vom Staat nichts vorschreiben lassen will bei solch persönlichen Angelegenheiten. Zudem würde er wohl sagen, dass er diese unkritischen und staatstreuen Mainstream-Medien schon lange nicht mehr nutze, sondern sich jetzt über andere Quellen informiere, die viel offener und objektiver über diese Themen berichten würden.

Beide Antworten haben etwas Surreales an sich und es wird in beiden Beispielen deutlich, dass mit Vernunft allein hier nichts zu machen ist. Was zählt ist nicht das gute Argument, sondern die bewusste Wahl einer anderen Handlungsoption als Symbol der Abgrenzung gegenüber dem hinlänglich Bekannten und als Zeichen dafür, dass man mit dem Mainstream nicht mehr einverstanden ist. Dabei sind nicht alle Trump-Anhänger einfach völlige Dummköpfe, aber die allermeisten von ihnen sind klare Gegner des demokratischen Establishments. Es sind Menschen, die wütend und frustriert sind, weil sie von den Politikern schon zu oft enttäuscht worden sind und weil sie zu ihnen keine Nähe spüren. Nicht alle Impfgegner sind einfach weltfremde Esoteriker oder unverbesserliche Verschwörungstheoretiker. Aber viele von ihnen sind äusserst kritische Staatsbürger, die ein diffuses Unbehagen oder auch ein gewisses Misstrauen verspüren gegenüber allem, was von der politischen oder wirtschaftlichen Elite daherkommt und als absolute Wahrheit verkauft wird.


Was also ist zu tun, wenn das gute Argument allein nicht mehr den entscheidenden Unterschied ausmacht? Und wie kann die Politik das verlorengegangene Vertrauen zurückgewinnen?

Vielleicht wäre es gar nicht so schwierig, wenn die politischen Entscheidungsträger vermehrt den Mut aufbringen würden, einfach ehrlich zu sein. Vielleicht müssten sie auch mehr darüber sprechen, dass sie oft überfordert gewesen sind in den letzten zwei Jahren mit Covid, weil sie immer wieder weitreichende Entscheidungen fällen mussten in Situationen, in denen die Faktenlage unklar war oder sogar völlig widersprüchliche Einschätzungen der Experten vorlagen. Vielleicht müssten sie auch zugeben, dass sie öfters Mühe hatten, sich zu entscheiden zwischen verschiedenen Optionen, wenn bei Option A mit X 1000 zusätzlichen Todesfällen zu rechnen war und bei Option B eine wirtschaftliche Rezession drohte mit all ihren Folgeerscheinungen. Vielleicht müssten aber auch die Wissenschaftler mutiger sein und sich trauen, auch in der Öffentlichkeit ehrlich über die Grenzen der Wissenschaft zu sprechen. Wissenschaft ist zwar eine hervorragende Methode zur Erkenntnisgewinnung, aber sie verschont uns nicht vor folgenreichen Irrtümern. Jede wissenschaftliche Erkenntnis gilt nur so lange als wahr, bis sie widerlegt ist. Diesen schmerzhaften Mangel an Unfehlbarkeit gilt es gemeinsam auszuhalten – besonders auch in Krisenzeiten. Die Menschen sind nicht so dumm und sie spüren, wenn man ihnen etwas vormachen will. Sie spüren aber auch, wenn man es ehrlich meint und offen kommuniziert. Ein bisschen mehr Authentizität, ein bisschen weniger politisch-strategisches Taktieren – da könnte ein vielversprechender Lösungsweg liegen.

Bob Schneider, Januar 2022

Bob Schneider
12.01.2022Bob Schneider
Tags: emotionale Authentizität